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     Eine Hochzeitsfahrt durch den Rümpfwald  - von Wölfen verfolgt 

Am Rande des Rümpfwaldes stand früher ein altes Gasthaus mit Braurecht,  gegenüber war der  Bauernhof von  Albin Funke. Seine zwei Söhne wanderten irgendwo in der Fremde herum und seine Tochter Milda hatte mit Funkes alter Schwester Barbara das Hauswesen geführt. Nun verließ Milda ihr Heimathaus, denn der Schlossermeisterssohn Hugo Dietrich; kurzweg all­gemein Hugdietrich genannt, hatte um sie gefreit und morgen am Neujahrstage 1617 sollte die Hochzeit in Glauchau statt­finden. Der Silvestertag 1616 war ein kalter Wintertag. Der Nordsturm heulte im hohen Walde und schüttelte mächtig die Bäume, dass der Schnee von ihren Zweigen stob und dürre Äste knackend abbrachen. Im Heim abere spürte man  keine Kälte. Muhme Barbara schob ein Scheit Holz nach demanderen in den großen Ofen, so dass das Feuer laut prasselte und eine angenehme Wärme im Zimmer war. Der alte Albin Funke, ein noch rüstiger Sechziger, schritt unruhig auf und ab und brummte zuweilen in seinen Bart unverständliche Worte hinein. Milda stand in ihrer jungen Schönheit strahlend in festlichem Kleide am Fenster und sah dem Tosen des Windes zu. Auf dem Tische lagen Pelze bereit und vom neben der Tür stand eine schwere wohlverschlossene Kiste, die das eigentliche Hochzeitskleid und andere Gaben enthielt. Auch zwei Fässer mit Bier standen daneben, die Funke mit nach Glauchau bringen wollte, damit die Hochzeitsgäste einen guten Tropfen haben sollten. Zu jener Zeit was es in Glauchau und auch in anderen Orten streng verboten, auswärtiges Bier einzuführen und zu schenken; doch hier wurde das Gesetz umgangen, indem es sich um geschenktes - also nicht gekauftes - Bier handelte. Schweigen herrschte in der Stube. Jeder hatte seine Gedanken und spann stille Träume. Da ertönte draußen ein feines Klingeln, wie Pferdegeläute. Milda sprang vom Fenster hinweg zum Tische, zog einen Pelz über und eilte mit dem Rufe: "Hugo kommt!" hinaus. 

Ein Schlitten kam die Straße von Lichtenstein heraus. Zwei starke Pferde waren vorgespannt. Auf dem Bocke saß der alte Traugott Müller, ein Verwandter Funkes, und Hugo Dietrich, der Bräutigam Mildas. Beide kutschierten den Schlitten vor die Tür, in der nun auch der Albin funke selbst erschien. "Seid Ihr endlich da! Haben lange gewartet!" sprach e. Hugdietrich sprang vom Bocke und half dem alten Traugott herab, der mit Muhme Barbara während der Abwe­senheit des Besitzers die Herberge versehen sollte. 

Lachend sprach Hugdietrich: "Ja, ich habe geeilt, was ich konnte, aber es kam allerhand Kleinkram dazwischen, so dass ich nicht eher von  fortkonnte. Wie ich bei den Teichen herausfuhr, stapfte der Traugott vor mir im Schnee herum und ich bringe ihn gleich mit!" "Hat meinen alten steifen Knochen gut getan, dass ich ein Stück fahren konnte" meinte Traugott Müller und eilte ins Haus, weil es ihn tüchtig fror, wie er herausrief. "Willst Du erst ein Brot nehmen, ehe wir fahren?" fragte Milda zu ihren Hugdietrich, Der aber schüttelte den Kopf: "Es ist schon spät geworden und wir müssen eilen, da es bald dämmert, damit wir rechtzeitig in Glauchau sind. Was wäre das für ein Polterabend unten, wo das Hochzeitspaar fehlen würde?" "Ganz recht, und unten wird Dir das Essen umso besser munden. Also laden wir gleich die Kiste mit den Kleidern und der Wäsche und die zwei Fäßchen Bier auf." sprach Albin Funke. Die Kiste Und die Bierfässer wurden hinten am Rücksitz des Schlittens befestigt. Milda und Hugdietrich hüllten sich warm in ihre Pelze und ebenfalls bepelzt stieg Albin Funke auf den Bock, nahm die Peitsche zur Hand und wollte losfahren, als Traugott Müller unter der Haustüre erschien. "Ihr fahrt doch nach Niederlungwitz hinein und den Grund hinab um  nach Glauchau zu fahren, da seid ihr immer zwischen den Häu­sern!" sagte der alte Mann, "Na Vetter Traugott wir fürchten uns doch nicht. Es geht den Weg hinauf zum Rümpfwald, durch den Wald nach Glauchau hinein.“meinte lachend Albin Funke. Bedächtig warnte jedoch Traugott: ,,Kürzlich ist ein Händler angefallen worden dicht bei Voiglaide im Rümpfwald - aber das ist nicht das Schlimmste!"

.,Und was ist das Schlimmste?" fragte spottend Hugdietrich. "Wölfe gibts wieder in großer Zahl. Der Hübner von Tilgen  ist von einem ganzen Rudel dicht hinter dem Hause überfallen worden und arg zugerichtet haben sie ihn. Ohne das Herbeieilen von den Nachbarn und von vier zufällig in der Nähe tätigen Holzfällern hätten die Bestien ihn gefressen. Und im Rümpfgut (gemeint ist der sogenannte Albertinenhof) sind sie in den Hof nachts gelangt und haben zwei Hunde erbissen und großen Lärm vollführt, bis der Förster zu schießen begonnen hatte und zwei Wölfe nieder­ schoß, worauf die Untiere geflohen sind, Also rate ich euch, fahrt nicht durch den Wald!" erzählte der Alte. "Schnick­schnack! ,Bin solange schon hier im Walde und seit zwanzig Jahren noch nicht wieder von Wölfen belästigt worden. Frü­her waren sie zahlreicher. Aber die paar Wölfe von heute sind zu sehr gehetzt und scheues ängstliches Wild geworden!" knurrte Funke, doch Traugott rief: "Glaubt mir. Dieses Jahr sind die Wölfe infolge des zeitigen und strengen Winters wieder recht zahlreich in unsere Gegend gekommen! Fahrt doch durch den Lungwitzgrund!" "Werden schon ungefressen nach Glauchau kommen. - Fahrt los!  Vater!"   rief Hugdietrich.

Albin Funke knallte mit der Peitsche und der Schlitten flog trotz seiner Last schnell den Weg dahin. Die Sonne begann zu sinken. Es dämmerte bereits. Die verschneite WegLandschaft zu beiden Wegseiten gewährte einen prachtvollen Anblick. Über den Weg liefen Fährten von allerlei Wild. Der alte Funke sah die Spuren vom Bocke aus und kannte sie gut, da er sein ganzes Leben hier verbracht  hatte. Da waren die größeren Eindrücke der Rothirsche und des Rehwildes. Eine einzelne Wildschweinspur lief quer über den Weg, Dieses Wild war bereits sehr selten in den schönbur­gischen Gebieten geworden und wenn ein Rudel Wölfe wieder hier ist, dann wird bald der Wald leer sein. Dann zieht das Rudel weiter. Fuchs und Dachsfahrten zeigten sich, ebenso die Spuren der Hasen. Marderfährten und Fährten von Kleinraubtieren. wie Iltis, Nerz und WIesel zeigten sich, auch Abdrücke der Pfoten des Eichhörnchens. Hüh­ner, Fasanen, Birkhühner, Bussarde hinterließen im Schnee ihre Abdrücke. Der Waldboden erzählt ja im Winter bei Schneebelag dem Kenner gar vielerlei vom Leben des Wildes, 

Da brachte mit einem plötzlichen Ruck Albin Funke den Schlitten zum Stehen. Wortlos sprang der Kutscher ab, lief einige Schritte rückwärts und untersuchte den Boden. Schon  erkannte der alte Mann die Fährten eines Rudels Wölfe, das in Stärke von etwa zwei Dutzend Stück den Weg gekreuzt hatte. Die Fährten waren neu und höchtens zwei Stunden alt. Also hatte der ängstliche Vetter Müller doch nicht unrecht gehabt. "Was suchst Du dort?" frug Hugdietrich, "Die Pferde brauchen nachdem langem Anstieg eine Pause. Ich will nur ein Stück gehen damit ich nicht friere!" sprach Albin, der den jungen Leuten keine Angst bereiten wollte. Zur Verwunderung derselben nahm der Wirt den Pferden die Messingglocken ab mit der sonderbaren Begründung: er könne das vertlixte Gebimmel nicht leiden. In Wirklichkeit wollte Albin den Wölfen nichts verraten, denn die scharfhörigen Raubtiere gingen auch Geräuschen nach, wenn sie ausgehungert waren. Der weiche Schnee dämpfte die Hufschläge und so ging schweigsam die Fahrt durch den verschneiten Wald weiter.

Man fuhr' inmitten hochstämmigen Nadelbolzes. Es war Abend geworden. Der Mond schien hell und man konnte deutlich den Weg eine Strecke weit sehen. Da ertönte unfern ein langgezogener dumpfer Ton. Mehrere ähnliche Töne antworteten von verschiedenen Seiten. Der alte

Waldmensch Funke kannte ihn aus seiner Jugendzeit! Hungrige Wölfe! Die Lage war ernst. Die Pferde schnupperten auffällig und zeigten ein ängstliches Wesen, Jetzt erst klärte Albin Funke das Brautpaar über die ernste Gefahr auf und sprach dann: "Sucht unter Euren Sitzen nach, dort müssen ein paar Ortscheite liegen. Sie sind unsere einzigen Waffen!“ Hugdietrich langte zwei eisenbeschlagene Ortscheite hervor und reichte eins dem Alten. "Ein Schlag auf eine Wolfs­schnauze erledigt solch eine Bestie!" meinte dieser. Rings im Gehölz regte es sich. Eine Anzahl glühender Augen leuchteten im Dunkel zwischen den Fichtenstämmen auf. Langgezogenes schauerliches Heulen! Die Pferde griffen verzweifelt aus. Wie ein Ball flog der Schlitten dahin. Hugdietrich schaute rückwärts. Die Wölfe standen auf dem mondbeschienenen Wege, beschnupperten die Schlittenfährte und schienen un­schlüssig. Da löste sich ein einzelnes Tier aus dem Haufen und sauste dem Schlitten nach. Vielstimmiges Geheul! Die ganze Meute hetzte nach. Noch ging die Fahrt gut. Sogar einen kleinen Vorsprung gewann man. Da kam eine Wegegabel.

Rechts war der richtige Weg, aber die geängstigten Pferde ließen sich nicht lenken und sausten auf dem viel schmäleren linken Wege weiter. Hier hingen dicht über dem Schlitten die schneebeladenen Äste und trotz alles Duckens stieß Albin auf dem hohen Kutscherbocke häufig an, Kleine Schneewolken ergossen sich auf die Insassen des Schlittens. Der Weg wurde schlecht. Die linke Kufe des Schlittens geriet in eine tiefe überschneite Wagenspur. sodass das Gefährt beständig schief dahin fuhr. Bei kleinen Biegungen drohte der Schlitten umzustürzen, Die Wölfe kamen' wieder näher. Da lag auf dem Wege abgeborchenes dürres Geäst. Die Pferde
bäumten hoch auf davor und schossen dann in Todesangst hindurch. Der Schlitten machte einen förmlichen Satz dabei. Seine Insassen wären beinahe herausgeschleudert worden. Die dürren Äste und Zweige krachten und knatterten unter den Kufen. Es klang, wie wenn eine Salve abgefeuert würde. Die Wölfe hielten jäh inne und lauschten. Ihnen waren Schüsse jedenfalls mit ihren verderblichen Wirkungen nicht unbe­kannt. Da sich aber nichts weiter ereignete, sausten sie wut­heulend dem Schlitten wieder nach. Die Pferde wurden all­mählich matter durch die furchbare Anstrengung und ihre Schnelligkeit ließ nach. Der vorderste Wolf, ein besonders großes Tier, kam keuchend näher. Hugdietrich war es, als sähe er im Mondschein, wie die dürren, aber sehnigen Flanken des Raubtieres vor Erregung und Anstrengung zitterten. Er sah schaudernd den offenen Rachen, aus dem die Zunge damp­fend heraushing und die weißschimmernden Zähne. Dazu glühten die Augen gar unheimlich. Der Weg führte etwas bergauf. Die Wölfe rückten näher heran. Der große vorderste Leitwolf sprang einmal vergeblich. Als er den zweiten Sprung
tat, erreichte er mit den Vorderpfoten die Kleiderkiste auf dem Rücksitz des Schlittens und schwang sich vollends herauf. Milda stieß in Todesangst einen Schrei aus, aber ihr Bräutigam schmetterte das schwere Ortscheit dem Wolfe auf den Schä­del. Lautlos stürzte das Untier hinab in den Schnee und die Wölfe fielen heulend über ihren getöteten Genossen her! 


Wieder ein Vorsprung! Der alte Funke wandte sich auf dem Kutscherbocke einen Augenblick um und übersah die Lage. Man erreichte einen Holzschlag. Die großen gefällten Stäm­me lagen unter einer Schneehülle. Der Weg führte in leichter Senkung abwärts. Albin reichte Hugdietrich sein Messer rückwärts und rief: "Zerschneide die Stricke der Kleiderkiste.
Auch die zwei Fässer löse vom Schlitten! - Schnell, schnell! Den Pferden geht die Kraft aus und dort steigt der Weg schon wieder!" Eilfertig zerschnitt Hugdietrich die Bänder und die
Kiste mit den Hochzeitsgewändern Mildas stürzte ab. Gleich darauf rollten auch die zwei Fässer Niklasbräu in den Schnee. Der Schlitten war bedeutend erleichert und schneller flog er wieder bergan. Eben als man von der Lichtung in den hohen Fichtenwald einbigten wollte, brachte Albin Funke mit einem gewaltigen Rucke die Pferde zum Stehen. "Hier ist Rettung!
Ihr Beide aus dem Schlitten raus. Da hinauf. Schnell!" schrie Der Alte, Etwa sieben Meter über dem Boden zwischen zwei hohen alten Fichten war ein Hochstand errichtet. Eine schma­le Leiter aus Fichtenstangen führte hinauf. Auf des Alten Geheiß kletterten Hugdietrich und Milda Funke hinauf, nah­men ihre Pelze mit und ein Ortscheit. Der alte Funke sprach: "Noch sind die Wölfe über ihrem gefallenen Leittier, aber bald
werden sie wieder auf unserer Fährte sein. Sie werden Euch spüren, aber Ihr seid oben sicher. Verlasst Euren Hochstand nicht. Seid ohne Furcht, denn die Wölfe sind keine Kletterkatzen, Ihr seid oben ganz sicher. Aber bleibt oben, bis ich Hilfe
bringe!" Der Alte fuhr weiter; da man am Geheul der Wölfe vernahm, dass sie sich wieder an die Verfolgung machten. Hugdietrich und Milde betrachteten ihren Zufluchtsort näher.
Etwa einen Meter hoch umschloss eine geflochtene Reisig­wand den aus dicken Schwarten roh zusammengefügten ungefähr zwei Quadratmeter großen Boden des Hochstandes.
Die dichten Zweige der einen Fichte hingen wie ein schützen­des Dach darüber. Von der Lichtung aus war das Versteck gar nicht wahrzunehmen. Hugdietrich breitete seinen Pelz am Boden aus, um für Milda ein Lager zu schaffen. Dann schnitt er von der Fichte, soweit sie ihm erreichbar waren, die dichten Nadelzweige ab und polsterte die Seiten aus. Indes waren die Wölfe heran. Hugdietrichs geräuschvolle Tätigkeit und ihre vorzügliche Witterung verriet den Raubtieren die Beute. Heu­lend umkreisten sie den Hochstand und vollführten tolle Sprünge, die natürlich aussichtslos waren. Hugdietrich trat auf die Wand des Hochstandes und brach von den Fichten dürre Reiser ab, die er den Wölfen zuwarf. So
reizte er die Raubtiere zu äußerster Wut. Sie versuchten, an den Fichten mit dem dürren Untergeäst hochzuklettern, rutsch­ten aber in kaum anderthalben Meter Höhe ab. Sie vollführten über eine Stunde lang ein markerschütterndes schauerliches
Heulkonzert. Es waren ungefähr dreißig Raubtiere, die den Hochstand blutlüstern umlauerten. Als sie sich beruhigten, herrschte Stille im Walde. Kein Lüftchen regte sich. Die
Beiden sahen über den Rand des Hochtandes auf die Lichtung hinaus. Nichts rührte sich. Einsamkeit überall! Nur vom Boden herauf glühten die Augen der hungrigen Wölfe, die
geduldig ausharrten. Weithin kein Laut. Die Zeit verrann! Beide blickten zum Himmel auf, durch die Zweige der Fichten blinkten die Sterne:" Über die Lichtung hinweg im Süden
sahen sie hoch am Himmel das prächtige Wintersternbild des Orion mit seinen funkelnden Gestirnen. Wenn auch die beiden Menschenkinder nichts von der Wunderwelt des Orions wuss­ten, so zog doch beim Anblicke des gestirnten Himmels stille Andacht in ihre Herzen ein. Sie dachten daran, dass heute Silvester sei, des Jahres letzter Tag, und so falteten sie im stummen Gedenken ihre Hände. Da - ferne Klänge! Es sind Glocken. Man läutete das Jahres letzte Stunde ein. Von da und dort kamen die Töne. Das Brautpaar lauschte. Sie hörten in tiefer Waldesstille und Einsamkeit von fernher die Glocken

klingen von  St. Aegidi (St. Aegidi (Kirche) St. Martin in Lungwitz und von Glauchau. Noch weiter her ertönten Glockenklänge, deren Urpsrungsort weitab liegen musste. So wundersam klangen die Töne durch die Nacht, dass es den beiden jungen Leuten ganz feierlich zumute war. Sie umfassten einander und lauschten Herz an Herz gepresst dem prachtvollen Läuten, indes ihre Blicke durch das Fichtengezweig zum gestirnten Himmel aufstiegen. Es war ihnen, als ob gütige Augen mildgesinnter Geister von
dort herabblickten und ihnen die furchtbare Gefahr vergessen machen wollten. 

In die andächtige' Stimmung hinein ertönte plötzlich das ärgerliche Knurren eines hungrigen Wolfes am Boden, das in Geheul ausartete. Da stimmte das ganze Rudel ein und verscheuchte die herrliche Andacht. Hugdietrich erhob sich, beugte sich über die Reisigwand des Hochstandes und sah zu den Wölfen hinab, die unruhig durcheinandersprangen und schauerlich heulten. Ihre wilden Augen glühten unheimlich
herauf; dass entsetzt der junge Mann zurückfuhr und da er dabei' seitwärts in den Wald blickte, war es ihm, als habe er irgendwo einen Lichtblitz im Walde gesehen. Aber so scharf
er auch nun in das Waldesdunkel spähte, er sah nichts. War es ein Irrtum gewesen? Von den Wölfen schien ein Teil Wald­ einwärts zu ziehen. Einige Minuten später hörte Hugdietrich einen Knall, dann lautes Schreien, Wolfsgeheul und wieder knallte es. Die Rettung kam. Die Wölfe unten am Hochstand schossen aufheulend auseinander. Hugdietrich erhob seine
Stimme und jauchzte hellauf. Feuerschein sah er unfern an den Spitzen der Fichten aufleuchten. Bald nahten zahlreiche Licht­punkte. Es waren Fackelträger. Der flackernde Flammen­schein widerstrahlte rötlich auf dem beschneiten Wege, wo die Retter heranschritten. Dunkle Schatten huschten über den Weg in das dichte Unterholz des Waldes. Fliehende Wölfe, denen zuweilen Schüsse nachkrachten. Jetzt waren die Fackelträger da. Einige Schlitten kamen den Weg herauf. Voran Albin Funke mit seinem Gefährt. Hugdietrich und Milda verließen ihren Zufluchtsort und stiegen herab. Nun ein frohes Beglückwünschen zum Neujahr. Dann erzählte Albin Funke , wie er in schnellster Fahrt mit erleichtertem Schlitten den Wölfen entkommen war. Nur vereinzelte Raub­tiere waren ihm erfolglos nachgehetzt. Ein Wolf war von hinten in den Schlitten gesprungen und Albin hatte das Untiermit einem glücklichen Stich seines Messers durch die Kehle getötet und aus dem Schlitten geworfen. Ein anderer Wolf war bis vorn zu den Pferden gelangt, hatte ihnen Bisse in die Schenkel beigebracht, bis er sich auf Albin geworfen hatte, der ihn mit dem Ortscheit in den Schnee hinabstieß, wo der Wolf unter die Schlittenkufen geriet. Die paar nachfolgen­den Wölfe aber fielen ausgehungert über ihren Genossen her, so dass Funke Ruhe bekam. Bald gewann er das Freie und quer über verschneite Wiesen und Felder hinweg erreichte er Thurm im Mülsengrunde. Ein Bauer stellte seine verletzten
Pferde ein und versah ihn mit frischen Tieren, damit er  Stadt Glauchau erreichen konnte. Hugdietrichs Vater alarmierte sofort die ganze Schlosserzunft. Viele abenteuerlustige
Gesellen anderer Berufe stellten sich ebenfalls freiwillig zur Verfügung. Ein ziemlich starker Haufen mit mehreren Schlit­ten zog in mannigfaltiger Tracht und Bewaffnung unter Albin Funkes Führung zur nächsten Wolfshatz aus. Langsam war man auf verschneiten Wegen, durch hohe Schneewehen häu­fig behindert, zum Rümpfwalde gekommen, wo Albin erst mühevoll den rechten Weg ausfindig machen musste, ehe man in den großen Forst eindrang. Kurz nach Mitternacht, als ringsum die Kirchenglocken das neue Jahr einläuteten, traf man auf die Wölfe, die ausgehungert und neugierig heranka­men und zum Teil niedergeschossen wurden, zum anderen Teile entflohen. 

Während dies Albin berichtete, hatten die Fackelträger die beiden Fässer Bier und die Kleiderkiste gebracht. AI­bin Funke und Hugo Dietrich spendierten den Gesellen sogleich das Bier. Bei den durstigen Kehlen der zahlreichen Teilneh­mer war das Bräu in kurzer Zeit vertilgt und der ganze Zug setzte sich lärmend in Bewegung. Es war ein romanti­sches Bild, das er bot. Im Fackelschein die farbig gekleideten Gesellen der Zünfte mit ihren Büchsen und Partisanen, auf welch' letzteren zum Teil getöteten Wölfe aufgespießt waren. Durch den Rümpfwald ging es über nach Glauchau, wo am Hochzeitshause viel neugieriges Volk harrte, denn die Kunde war wie ein Lauffeuer durch die Stadt geflogen. Als das Paar endlich in der Wohnung bei Hugdietrichs Eltern weilte, hörte es mit Vergnügen, wie der
alten Sitte gemäß vor der Haustüre ein Krachen und Poltern anhub, dass einem die Ohren klangen. Wer in Glauchau ein schadhaftes Gefäß daheim hatte, schlug es jetzt ein Scherben und einen so hohen Scherbenhaufen hatte bisher noch kein Paar vor seiner Tür gefunden, als am kommenden Morgen Hugdietrich und Milda. 

Jahre vergingen voll wechselnder Geschicke, denn der gewal­tige Dreißigjährige Krieg hub bald an. Hugdietrich und Milda erlebten den Krieg in jeder Gestalt. Sie sahen in Glauchau
Mord, Plünderung, Pest und Feuersbrünste. Oft in höchster Lebensnot ohne Obdach und Nahrung verzweifelten sie nicht. Immer schwebte ihnen in Zeiten höchster Gefahr ihre aben­teuerliche Hochzeitsfahrt von Wölfen verfolgt im Rümpfwal­de zur Silvesternacht 1616 vor, die ihre größte Erinnerung bis ins späteste Alter blieb. 

Nacherzählt nach einer Geschichte von Max Sachse 
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                                              Frondienste

Die für die Schönburgische Herrschaft Glauchau zu leistenden Frondienste und Steuern waren im Erbzins- und Fronregister festgelegt.

Um 1630 musste ein Hufengut, eín Hof mit  etwa 25 ha,  z. B. folgende Lasten  erbringen:

"Zinset Walpurgis (30.4)  Zehenn Groschen Vier Pfennige, zu Michaelis (29.09.)dasselbe.

Hierüber auch Gnädiger Herrschaft 1 Scheffel und 2 Siebmas Korn (Roggen) (Zwickauer Scheffel = 67 Liter - ca. 30 kg Getreide, Siebmas = 1/4 Scheffel), 1 Scheffel Hafer, anderthalbe Henne, undt Eine Mandel Nößen Flachs ( 15  Handvoll Leinen)

Frönet was er geheißen wird, mit den Pferden zum Ackerbau,  Klippelfuhre (das waren Heu- oder Strohfuhren auf die Lichtensteiner oder Rüsdorfer Schäfereien),

Mühlfuhre (Fahrt des gemahlenen Getreide von der Mühle zum Vorwerk), oder An wege darzu,

Hofholz machen,

Netzfuhre uf der Jagd (Transport der Netze für die Treibjagd), Salzfuhre und Weinfuhre,

Alles Gras hauen, zu Sommer undt Herbstzeit  uf den Lichtensteinischen Wiesen undt dürremachen.

hülft Korn schneiden uf den Lichtensteinischen Hofefeldern, undt aufbunden der Garben,

Auch ist er Wasserfuhre ufs Schloß zu leisten schuldig, wenn dasselbe außen bleibet
So wohl uf die hohe Jagt zu gehen, Wache, wie auch Schafscheren zum Lichtenstein.
Ferner 1 Siebmas Korn dem Herrn Pfarrer , Irrgleichen 2 Garben Korn den Kirchner"

Eine Magd erhielt in dieser Zeit im Jahr  84 Groschen (4Gulden). Lohn.


                                   Der Geist im Pfarrgut

Im Dreißigjährigen Krieg blieb auch unser Dorf vor Unheil und Leid nichtverschont.  

Der Glauchauer Chronist vermerkte: „Die Stadt ist bald von Freunden bald von Feinden ruiniert und beschädigt worden.“ Im .Jahre 1632 wurde unsere Gegend besonders durch die Truppen des kaiserlichen Generals Holk verwüstet. Als er, von Plauen kommend über Glauchau und Chemnitz nach Freiberg zog, befahl sein Obrist Corpitz am 15. August, das Lichtensteiner Schloß erst zu plündern und dann niederzubrennen. Auch die Stadt ließ er
anzünden.

Von einem Nachbardorf ist folgendes berichtet: „Alle Bewohner hatten sich in das Holz geflüchtet, nur der Schmied Namens Gumbrecht war zurückgeblieben, ihn ergriffen die Unmenschen und verlangten, er solle ihnen das Versteck der anderen Dorfbewohner preisgeben. Da der Mann dies beharrlich verweigerte, wurde ihm ein enger eiserner Reif um den Kopf gelegt, und dieser ihm dann mit Hammerschlägen über die Ohren bis zum Hals getrieben. Doch auch diese Qualen konnten den Standhaften nicht zum Verrat bringen. Er ertrug die Martern und wurde später selbst von den Wunden wieder geheilt.     

Am 10. Dezember 1632 plünderten die kaiserlichen Kriegsvölker wieder in der Gegend um Lichtenstein und in Hartenstein. Sie sollen dabei mehr als zweihundert Schafe und hundert Rinder geraubt haben. Im August 1633 zogen die kaiserlichen Truppen erneut Richtung Chemnitz. Dabei kam es in Oberlungwitz abermals zu Plünderungen. 

 Von den  Kriegsjahren 1632 ist folgende Geschichte aus unserem Ort überliefert. 

Die Nachricht von der Einquartierung von Soldaten in Glauchau und Waldenburg und deren Untaten, die sie in den umliegenden Dörfern anrichteten verbreitete sich schnell. Für die Bewohner gab es nur Sicherheit in den großen Wäldern. Auch in Tillingen sind alle  Bewohner mit Vieh und Vorräten in den Wald geflüchtet. Nur der Pfarrer Andreas Meyer blieb mit seinem Sohn im Pfarrgut, das unterhalb der alten, dem Heiligen  Ägidius geweihten Kirche am Niederen Tempel stand. Er wollte wohl die Kirche vor Plünderung und Schändung schützen und hoffte sein Amt würde ihn vor Schaden bewahren. Als dann plündernde Landsknechte kamen, merkten sie schnell das in dem Dorf nicht viel zu holen ist. Der Anführer ging zur Kirche, dort waren die Abendmahlskelche und Leuchter aus edlen Metallen. Der Pfarrer wartete schon in der Kirche um dem Treiben Einhalt zu gebieten. Die respektlosen Landsknechte nahmen den Pfarrer und drohten ihm Folter an, wenn er nicht sofort das Versteck der wertvollen Kirchengegenstände und der Dorfleute verriete. Der Pfarrer Andreas Meyer aber bleib standfest und verriet nichts. Der Anführer befahl ihn zu hängen und hoffte nun, er würde beim Anblick  des Todes doch noch das Versteck preisgeben. Der Pastor aber sprach nur noch ein Gebet als ihm die Schlinge um den Hals gelegt wurde. Das Versteck der Dorfleute würde er niemals verraten. So wurde der Pfarrer Andreas Meyer auf gehangen. Die Landsknechte verließen  den Ort  um in einem weiteren Dorf einzufallen, wo die Bewohner noch nicht geflohen waren.

Der Sohn des Pfarrers aber kam eiligst aus seinem Versteck und stellte fest, das sein Vater noch lebte. Schnell stellte er eine Bank unter seine Beine und löste das Seil. Der Pfarrer überlebt - wie durch ein Wunder.  (Andreas Meier war seit 1621 Pfarrer in Sankt Egidien und starb 1662. Vorher war er Diakonus in Glauchau. )

4 Monate waren seither vergangen. Mehrfach hatten die Bauern wieder  im Rümpfwald das Versteck auf gesucht.. In 2 Wochen wird Weihnachten sein. die Dorfleute waren froh im Winter ohne Furcht wieder in ihren Häusern sein zu können. Doch an einem Abend kamen völlig unerwartet wieder Landsknechte in den Ort. 

Während die Soldaten in den Bauernhöfen einfielen, ging  ihr Anführer mit Mehreren zum Pfarrhof. Sie wollten  die Kirchenschätze rauben. Doch es vergingen nur wenige Augenblicke, bis die Landsknechte und ihr Anführer unter wildem Geschrei aus dem Pfarrhaus rannten. 

Der Offizier ließ zum Aufbruch blasen, und die Landsknechte verließen Tilgen, ohne dass sie größeren Schaden angerichtet hatten. Als der Anführer mit den Soldaten  zur Kirche gekommen war, trug Andreas Meyer seinen  Talar. Der Offizier erkannte den Pfarrer wieder und glaubte im Kerzenlicht einen Geist zu sehen. Der Offizier schrie auf, und stürzte in großer Hast davon. Auch alle Anderen Landsknechte verließen den Ort schnell und flüchteten. Der Ort wurde so vor Unheil und Leid geschützt. Andreas Meier war von 1621-1662 Pfarrer in St. Egidien und vorher Diakonus in Glauchau.


                                                      Der Brunnen     

Seit langer Zeit, vielleicht schon seit der Anlage  des Dorfes teilten sich zwei Bauernhöfe einen Brunnen. Auf der Flur des Einen befand sich die Quelle. Über die Wiese des Anderen verlief der Zufluss zu den beiden Gehöften. Es war immer genügend Wasser da, deshalb war auch nichts vertraglich festgehalten. Doch in einem Jahr gab es eine große Dürre. Die Wiesen und Felder vertrockneten. Die Blätter an den Bäumen verfärbten sich braun wie im Herbst. In den Teichen war nur noch Schlamm und die kleine Bäche trockneten aus. So kam es, dass auch das Wasser der Quelle nicht mehr reichte. Es kam zum Streit. Jeder beschuldigte den Anderen zu viel Wasser zu verbrauchen. Der Eine sagte die Quelle liegt auf meinem Grund und deshalb ist es mein Wasser. Der Andere sagte: ich gebe dir kein Wasser mehr ab, denn es fließt von meiner Wiese zu deinem Hof. Ich werde dir nur das Wasser abgeben, das ich nicht brauche. Da antwortete der Eine ich werde das Wasser an der Quelle anstauen und es wird kein Wasser zu dir fließen. Ich hole das Wasser wie ich es brauche und trage es zu meinem Hof. Dir werde ich das aber nicht vergessen und nie wieder Wasser abgeben.

Am nächsten Tag machte sich der Bauer auf, nach dem er sein Vieh versorgt hatte,  in die entfernte Stadt zu gehen. Dort suchte er einen Advokat auf und bat um Rat ob er im Recht sei und wie er es richtig machte, das der andere kein Wasser mehr bekäme. Der Advokat sagte: "Es tut mir leid ich kann dir nicht helfen, denn dein Nachbar war heut morgen schon da und hat mich um Rat gebeten. Ich kann dir nur empfehlen zu dem  anderen Anwalt in der Stadt zu gehen. Ich gebe dir diesen Brief mit damit  er gleich  sieht wie die Sache steht." Der Bauer nahm den Brief zahlte den Advokat für seine Mühen  und ging. Sein Geld war alle und es war schon spät. So er lief wieder nach Hause. Seine Sorgen waren groß, die  Kühe hatten nur verdorrtes Gras zum Fressen und wenig  Wasser - so gaben sie auch wenig Milch.  Das Getreide auf dem Feld war schon vertrocknet bevor sich die Körner gebildet hatten.  Wenn er jetzt auf seinem Bauernhof kein Wasser mehr hat - ist das, das Ende für den Hof. Da traf der Pfarrer auf Ihn und  er  spürte seine Sorgen. und fragte: " Was bedrückt dich so? " Der Bauer erzählte von dem Streit um das Wasser und von dem Brief. Da er nicht Lesen konnte bat er den Pfarrer, in den Brief zu schauen, wie es um sein  Recht auf Wasser steht. Der las ihm vor:

Lieber Freund und Oheim,                                                                                                     vor uns stehen zwei Bäuerlein.  

Die tun sich Zanken und Raufen,                                                                                            sie wollen nicht mehr aus einem Brunnen saufen

Wir wollen ihnen das Geld abschröpfen,                                                                                und machen, dass sie wieder aus einem Brunnen schöpfen


Der alte Jochen  eine Erzählung von Gerhard Hänel

In unserem Dorfe, lebte am Ausgange des 19. Jahrhunderts ein braver, tapferer Knecht, Hans Joachim Mathes geheißen, von allen Dorfleuten aber kurz "der alte Jochen" genannt.  

Der alte Jochen war fünfundzwanzig Jahre lang Knecht auf dem Illgenhofe, dem größten Gute des Dorfes. Wohl hatten sein mühseliges Tagewerk und die Last der vielen Lebensjahre ihm den Rücken gebeugt, aber noch immer tat er seine Arbeit willig und ohne Seufzen. Früh war er der erste im Stall und abends der letzte, der vom Felde heimkam. Er rauchte nicht und betrat nie ein Wirtshaus. Selbst beim Erntebier, das der Illgenbauer gab, ließ er sich den Krug nur mit Wasser füllen; aber das Silberstück, das der Bauer ihm als Entschädigung dann jedes Mal zuschob, nahm er mit zufriedenem Kopfnicken. Nicht immer war der alte Jochen ein Knecht gewesen. Nein, er hatte schon bessere Zeiten gesehen, als ihm am Abend seines Lebens beschieden waren. Die kleine Wirtschaft, die etwas abseits der Straße am Ausgang des Dorfes lag, hatte einst ihm gehört. Jetzt war sie dem dicken Gastwirt .Zum Schwan " zu eigen, der sie einem Rentner aus der Stadt verpachtet hatte, der aber nach dem Ausspruch des alten Jochen "weder Gicks noch Gacks von der. Landwirtschaft verstand". Groß war sein Gütel nicht gewesen: Ein Häusel mit dem Stall für die Kuh, die zwei Ziegen, das Schwein und das Federvieh und eine Scheune für Kom und Heu. Aber blitzsauber und in bester Ordnung war alles gewesen, bis ... ja bis der Schnapsteufel über Hans Joachim Mathes gekommen war.

Wie und warum, das wusste der Jochen selbst nicht. ,,Der Teufel kommt bei Nacht, wenn der Mensch schlaft", pflegte der Jochen zu den jungen Knechten zu sagen. Jedenfalls saß der Jochen bald Abend für Abend und mitunter auch den ganzen Tag beim Schwanenwirt, und jeder Taler, den er durch die Gurgel jagte, legte sich als Schuldenlast auf das kleine Häuschen, und eines Tages waren es viele hundert Mark. Da starb des Jochens Ehefrau. Man sagte, sie habe sich zu Tode gehärmt. An ihrer Bahre kam der Jochen zur Besinnung. In den Sarg hinein versprach er ihr, dem Dämon des Branntweines abzusagen und sein verlottertes Leben neu aufzubauen.

Aber es war schon spät, sehr spät!

Jochen Mathes war alt geworden, aber er verlor Mut und Zuversicht nicht. Hatte er nicht zwei kräftige Buben, doch dann kam der Krieg, der von 70 und 71, und nahm ihm den einen, und der andere ging nach Amerika, weil "drüben" mehr zu verdienen sei. Er wollte bald Geld, viel Geld schicken. Erst schickte er zwei wenig hoffnungsvolle Briefe, dann kamen noch ein paar spärliche Kartengrüße an den Vater, darauf blieb auch er stumm. ,,Amerika hat ihn verschluckt", sagte Jochen Mathes und zählte auch ihn zu den Toten.

Drei Monate später packte Hans Joachim sein Bündel und ging aus seinem Hause, das nicht mehr sein war, fort zum Illgenbauer und wurde "der alte Jochen"; Wer aber damals glaubte, nun hätte das Schicksal den Jochen Mathes untergehabt, der irrte sich. In ihm steckte eine unverwüstliche Lebenskraft, seine dunklen Augen blickten weiter tapfer und mutig in die Welt, und seine Rede war: "Gott verlässt keinen, der sich nicht selber aufgibt". So verrichtete. er Jahr um Jahr schwere Knechtsarbeit, tat geduldig, was ihm aufgetragen wurde und seine harten Hände wurden noch harter. Er gab nie einen Groschen für sich aus und gönnte sich in den vielen Jahren nicht das geringste Vergnügen. Was im Illgenhofe auf den Tisch gesetzt wurde, genügte ihm. Im Stroh seines Bettes aber barg er jeden Groschen seines kargen Lohnes. Aus den Groschen wurden Taler, und aus den Talern im Laufe der Jahre manch klingendes, blitzendes Goldstück. Wofür sparte der alte Jochen, da er doch ganz allein auf der Welt stand? Der Jochen sagte es jedem, der es hören wollte und manchem. der nicht darnach frug: ,,Das Häusl muss wieder mein werden!" Mit dem Schwanenwirt hatte er längst verhandelt. Der wollte ihm das Haus an dem Tag überlassen, an dem er ihm sechshundert Taler auf den Schenktisch legte. Sechshundert Taler, die wollten zusammengekratzt sein! Aber Jochen Mathes verstand auf lange Sicht zu rechnen, und der unablässige Gedanke an sein Ziel hielt ihn gesund und kräftig bis ins hohe Greisenalter hinein. Und er tat sein mühseliges Tageswerk allezeit mit Freuden. "Wenn einer weiß, wofür er sich abrackert, dann ist schon nichts zu schwer", ging seine Rede, wenn eine mitleidige Seele ihn um seines harten Loses willen bedauern wollte. Und Jochen Mathes genoss mit innerer Lust seinen wachsenden Anteil am alten Besitz. Jeden Sonntag ging er an dem Häuschen am Dorfende vorbei und betrachtete es gewissenhaft und liebevoll, als wäre es schon wieder das seine. ,,Die Fensterläden müssen frisch gestrichen werden", sagte er zu sich selbst, "und an der Esse fehlt gar ein Ziegel! Und wie das Feld aussieht! Mist muss dahin, wenn etwas wachsen soll! Und Disteln werd' ich stechen müssen, du meine Güte!" Manchmal freilich überkam ihn auch die Angst. Gott möchte ihn auf dem Illgenhofe sterben lassen, bevor er den letzten Taler zusammen hatte. Dann betete er schlicht und einfältig wie ein Kind: ,,Lieber Gott, gib, dass ich einmal in meinem Häusl sterben kann", und dann wusste er, 'der große Geber aller Güter, der ihn so harte Wege geführt hatte, würde ihm die Erfüllung dieses Herzenswunsches nicht versagen. Und endlich, endlich kam der Tag, an dem der alte Jochen sein Spargeld hervorsuchte und volle sechshundert Taler zählte. Am Abend ging er zum Schwanenwirt, und seine knorrigen Hände zitterten zum ersten Mal, als er ihm das Geld, die Spargroschen aus fünfundzwanzig langen Jahren, auf den Tisch legte.

Einen Monat später nahm der Jochen abermals sein Bündel unter den Arm, und klopfenden Herzens schritt er den Weg zurück vom lllgenhof in sein Eigentum. Er ging langsam, jeden Schritt voll genießend, und die Glücksseligkeit strahlte ihm aus den dunklen Augen. Als er die Schwelle seines Hauses überschritt, rannen ihm die Tränen über das runzlige Am nächsten Morgen lag er tot in seinem Bett, auf dem bleichen Antlitz den letzten Schimmer himmlischster Freude. Drei Tage später trug man den alten Jochen Mathes aus seinem Hause hinaus auf den Kirchhof, und das ganze Dorf gab ihm das Geleit. Seinen Sarg deckte man mit Erdschollen zu, die man von seinem Grund und Boden genommen hatte, und auf sein Grab pflanzte man Blumen, aus seinem eigenen Garten

                 Raubüberfall zu St. Egidien

von  Dr. Gustav Albert Siebdrat,  Königlich Sächsischer Appellationsrath zu Zwickau.

AAus „ Neue Jahrbücher  für sächsisches Strafrecht“ 

 

Die nachfolgenden Entscheidungsgründe begleiteten ein von dem Appellationsgerichte zu Zwickau im Jahre 1842 gesprochenes und nachher von der zweiten Instanz bestätigtes Erkenntnis). Ich theile sie hier mit, weil ich den Fall sowohl in Beziehung auf die Thatfrage als auch wegen der einschlagenden Rechtssätze für nicht uninteressant gehalten habe. Es war die hauptsächlichste Aufgabe der geführten Untersuchung, den Beweis herzustellen, daß der Inculpat (Beschuldigte)  R. diejenige Mannsperson gewesen sei , welche in der Nacht vom 27. zum 28. Juni 1842 dem Strumpfwirker Wolf aus St. Egidien, als dieser vom Jahrmarkte zu Hohnstein heimkehrte, unweit des Wienhold'schen Gutes im Oberdorfe zu St. Egidien sich in den Weg gestellt, die Worte: „Das Geld her oder das Leben" ausgerufen, dabei in der einen Hand einen Säbel und in der andern ein Pistol gehalten, auch das letztere hinter Wolfen, als dieser die Flucht ergriffen, abgefeuert hat. Die Thatsache selbst, daß ein solcher Anfall zu jener Zeit stattgefunden, beruht auf der beschworenen Anzeige Wolf's  — welcher noch dadurch eine sehr erhebliche Bestätigung zu Theil wird, daß zwei Nachtwächter,

Klinger und Vogel, zu übereinstimmender Zeit und in der Richtung des Orts, wo die Begegnung stattgefunden haben sollte, einen Schuß vernommen haben, dem ein mehrmaliges lautes Schreien gefolgt ist, und daß insbesondere Vogel bestätigt hat, wie gleich darauf der ihm wohlbekannte

Strumpfwirker Wolf fast athemlos zu ihm hingerannt gekommen sei und ihm den Vorfall in der Kürze mitgetheilt habe.

 

Auch der persönliche Überführungsbeweis gegen den Inculpaten, der die That fortwährend leugnet, findet seinen wichtigsten Stützpunct in der eidlichen Angabe Wolfs. Denn dieser letztere hat, nachdem er schon zuvor das Äußere der ihm entgegengetretenen Mannsperson auf eine mit R.s Signalement zutreffende Weise geschildert hatte, im Angesichte, R.s mit der größten Festigkeit die Behauptung ausgesprochen, daß dieser es sei, der ihn damals bedroht, und daß er den selben beim Mondlichte — welches in jener Nacht allerdings stattgefunden — sogleich für denjenigen, mit welchem er kurze

Zeit vorher unterwegs zusammengetroffen, erkannt habe.

 

Nun muß eine eidliche Recognition, wenn sie mit solcher Bestimmtheit wie hier erfolgt, und von Jemandem ausgeht, dem sich ebenso gut die Fähigkeit, richtig zu beobachten, als der

Wille, die Wahrheit auszusagen, zutrauen läßt, schon an sich für ein sehr starkes Beweismittel gelten. Was den guten Willen Wolfs, in Bezug auf Wahrheitsangabe, betrifft, so bieten die Acten nicht den entferntesten Grund dar, daran zu zweifeln. Nirgends ist die Spur von einem Interesse, das Wolf daran haben könnte, gerade R., den er noch gar nicht näher gekannt zu haben scheint, in Strafe gebracht zu sehen, und es würde auch eine umso größere moralische Verworfenheit des Anzeigenden, der seine Aussage durch wahrheitswidrige Zusätze entstellt, vorausgesetzt werden müssen, je schwerer das Verbrechen ist, dessen ein bestimmtes Individuum überwiesen werden soll. Auch gegen die Annahme, daß Wolf eine richtige Wahrnehmung habe machen können, läßt sich wenig einwenden. Denn daß in einer Nacht, wenige Tage nach dem Vollmonde, eine Person noch scharf genug in's Auge zu fassen sei, ist unbezweifelt. Und wenn man behaupten wollte, daß Schreck und Angst Wolfen behindert habe, genau zu sehen,  wie dieß wohl zuweilen bei Erschrockenen der Fall sein mag — so würde dieß, wenigstens in Bezug auf einen höheren Grad der Behinderung, zu gewagt und eben deshalb unstatthaft erscheinen; denn nach  ist zwar Wolf in dem Augenblicke, wo er sich zu dem Nachtwächter Vogel geflüchtet, zu erschrocken gewesen, um den Namen des Angreifers zu nennen, allein zufolge  hat er doch gleich darauf, als er in der Selbmann'schen Schenke zu Rüßdorf

Sicherheit gefunden, sich darüber erklärt, daß er denjenigen, der ihn angefallen, wohl kenne, und daß es derselbe sei, welcher ihn zuvor, auf dem Wege von der Lerchenschenke nach Hermsdorf gejagt habe; — eine Bezeichnung, die mit einem, gleich nachher zu erwähnenden Vorgange in Verbindung

steht.

Es kann hiernach der Wolfschen eidlichen Aussage schon an sich nicht der Glaube versagt werden, und eben deshalb auch nicht der Einfluß, den sie auf das Urtheil über den Inculpaten R. gewinnt. Allein sie wird auch noch durch verschiedenerlei begleitende Umstände, die durch die Untersuchung an's Licht gefördert worden sind, bestätigt, und hierdurch erlangt sie den Werth, den eine Zeugenaussage als Überführungsbeweismittel im Criminalprocesse haben soll, in seiner ganzen Vollständigkeit.

 

Für die Annahme, daß wirklich R. jenen bedrohlichen Anfall ausgeführt habe, spricht nämlich zuvörderst das, was demselben in jener Nacht vorhergegangen ist. Nach Wolfs, ferner Johann Gottfried Vogel's, des Strumpfwirkers  Gottfried Tetzner's , des Anspanngutsbesitzer  Johann Gottlieb Grinitzens und des Händlers Christian Friedrich Stiegler's übereinstimmenden Angaben haben alle diese Personen Nachts 11 Uhr ungefähr gleichzeitig, und der Inculpat R. etwas später, aus der sogenannten Lerchenschenke bei Hohnstein sich entfernt und auf den Weg begeben, welcher über Hermsdorf, Bernsdorf und Rüßdorf

nach St. Egidien führt. Zwischen Wolfen einerseits, Vogeln und Tetznern andrerseits hat, in Folge einer vorherbesprochenen Wette, auf dem halben Wege nach Hermsdorf, ein ziemlich ernsthafter Streit und, eine Strecke Weges weiter, sogar ein Exceß stattgefunden, bei welchem Wolf, durch thätliche Angriffe Vogel's bewogen, zwei Zwanzigkreuzer aus seinem Beutel hervorgeholt und an Vogeln und Tetznern gezahlt hat. Zwischen den beiden Puncten, wo dieß vorgefallen, hat sich R. zugesellt, und ist neben Wolfen aus der Straße gegangen. Hierbei behaupten Vogel  und

Tetzner sowie Wolf selbst , daß R. Wolfen nachgerannt, und dann neben diesem langsameren Schrittes einhergegangen sei, und Tetzner setzt hinzu, daß, nach dem nunmehr die Abnöthigung jener zwei Zwanzigkreuzer (5Groschen und 4Pfennig waren ein Zwanzigkreuzer)

vor sich gegangen, und Wolf nach deren Bezahlung schnell vorwärts gelaufen, R. gefragt habe:

 

„Wer ist denn der?"   und auf die erhaltene Antwort:

„Es ist der Gruner Schneider aus Tilgen" (womit Wolf bezeichnet worden)

diesem unter den Worten: „Ei dem muß ich nach" abermals nachgeeilt sei.

 

R. selbst hat  das zweimalige Nacheilen hinter Wolfen, sowie auch die zuletzt bemerkte Frage und Gegenrede eingeräumt, dabei aber versichert, daß er nichts gegen Wolfen im Schilde geführt, vielmehr einige Gläser Schnaps im Kopfe gehabt habe; in Abrede hat aber gestellt, daß er von dem Hervorziehen des Geldes auf Seiten Wolfs Zeuge gewesen sei. Er will zu jenem Momente weiter voraus, als Wolf, Vogel und Tetzner gewesen sein ; allein, während Tetzner dieß Bl. — dahin gestellt läßt, so versichern Wolf und Vogel mit Bestimmtheit, das R. bei dem Ziehen des Geldbeutels dabei gestanden und Alles mit angesehen habe; es ist auch von Vogeln, sowie von den übrigen bisher genannten Zeugen, die erstattete Aussage eidlich bekräftiget worden. Es geht hieraus hervor, daß R. vorzüglich dann, als er Wolfs Geldbeutel erblickt, ein besonderes Interesse an dessen Person genommen habe, und gerade das Wegleugnen des an sich unverdächtigen Umstandes, dabei gestanden zu haben, als Wolf Geld austheilte, findet kaum eine bessere und natürlichere Erklärung, als durch die Vermuthung gegen den Inculpaten, wie er sich wohl bewußt sein möge, durch jenen Anblick den ersten Impuls zu seinem nachherigen Thun empfangen zu haben. Es ist bei diesem Puncte noch zu gedenken, daß R. nach Ausweis der Beilageacten bereits wiederholte

Beweise, wenn auch nicht von tiefgewurzeltem verbrecherischen Sinne, doch von sehr schwacher Fähigkeit gegeben hat, den Verlockungen zum Angriffe auf fremdes Eigenthum zu widerstehen.

 

Ein zweiter, den Anschuldigungsbeweis wenigstens einigermaßen unterstützender Umstand ist es, daß R.s Beinkleider an ihren unteren Enden, und zwar noch am Abende des 28. Juni, ziemlich feucht angetroffen worden sind. Der Inculpat, der dieß zugab, versuchte es dadurch zu erklären, daß er am Abende des 27. in der Lerchenschenke sehr viel getanzt und demnach so stark geschwitzt habe. Das Unzulängliche, beinah Ungereimte dieser Erklärung liegt auf der Hand; eben so sehr auch die viel größere Wahrscheinlichkeit davon, daß die Ursache jener Feuchtigkeit in dem Thau der Wiesen zu sinden sei, über welche R. nach seiner eigenen Angabe Bl. — am vortheilhaftesten hätte gehen müssen, um, von seiner Wohnung in Bernsdorf aus, Wolfen zu überholen Es ist nämlich offen

bar, daß R, falls er jenen Anfall verübt hat, sich nothwendig von Wolfen hat trennen müssen — und dieß, sowie auch die Abtrennung der übrigen Reisegefährten, ist zufolge des Geständnisses in Hermsdorf geschehen  um zu seiner Wohnung zu gelangen, dort sich zu bewaffnen und

alsdann den Ort, wo das Zusammentreffen wirklich stattgefunden hat, eher als Wolf zu erreichen Der Zusammenhang übrigens, in welchem das Ganze dieser Annahme mit den einschlagenden zeitlichen und örtlichen Verhältnissen steht, ist nicht nur, wie soeben bereits angedeutet, von dem Inculpaten

 selbst hinreichend erkannt, sondern auch durch das Ergebniß der Befragungen  nachgewiesen worden, und es ist damit die Aussage des Vaters des Inculpaten wohl vereinbar, nach welcher derselbe seinem Sohne nach Mitternacht — ob um 1 Uhr oder noch später, weiß er nicht — das Haus geöffnet, und sodann nichts weiter, als daß der Sohn den Rock ausgezogen, wahrgenommen haben

will. Er ist, wie er  sagt, damals überhaupt im Schlafe gewesen und auch gleich wiederum völlig eingeschlafen.

 

Es ist endlich auch durch die Untersuchung nachgewiesen, daß R. solcher Waffen, wie sie bei jenem Anfalle geführt wurden, sich gar wohl hat bedienen können. Denn ein Säbel wurde nach Beweislage. in R.s Stube im Bette aufgefunden, und von zwei Pistolen oder Terzerolen(Vorderladerpistole), deren eines früher wenigstens im Besitze von R.s Vater sich befunden, das andere aber dem Ehemanne der abgehörten Johanne Christiane L. zugehört hat, ist  die Rede. Da keines derselben zu erlangen gewesen ist, so kann allerdings das richterliche Bestreben nicht weiter darauf gerichtet sein, die Identität des einen oder des anderen mit dem bei dem fraglichen Vorfalle zur Anwendung gebrachten bündig nachzuweisen. Allein diese Unthunlichkeit hebt das Gewicht, welches jenem Umstande beizulegen ist, nicht überhaupt auf, denn es handelt sich hierbei nicht von einem Indicium, welches für sich allein und ausschließlich auf die Begehung eines Verbrechens durch das angeklagte Individuum hinzielt, sondern nur von der Aussammlung und Zusammenstellung solcher Thatsachen, durch deren Einklang ein weit mächtigeres Indicium, das der persönlichen Wiedererkennung des Thäters - Unterstützung finden soll. Und in dieser Beziehung ist es wichtig genug, zu wissen, daß derartige Schießgewehre, die für R. leicht zu erlangen sein konnten, vorhanden gewesen sind; außerdem erscheint es aber noch speciell einigermaßen verdächtig, daß das  Terzerol, welches R. nach seiner

Angabe  im Frühjahre 1842 erborgt gehabt und zu  Pfingsten im ruinierten Zustande zurückgegeben haben will, ist  nicht mehr vorhanden, vielmehr nach der beschworenen Aussage aus dem Schranke, worein sie es selbst gelegt, und der sich in einer Oberstube des Hauses befindet, in welchem R. noch wenige Wochen vor dem Beginne der Untersuchung in Arbeit gestanden, abhandengekommen ist. Was den Säbel betrifft, so sind von Wolfen rücksichtlich desjenigen, den er in den Händen des Angreifers gesehen, keine andere Merkmale, als daß er gekrümmt gewesen, angegeben

worden, und deßhalb mag auch auf die eidliche Recognition - des bei R. gefundenen durch Wolfen, kein sehr hoher Werth gelegt werden; doch genügt es, daß auch jenes einfaches Merkmal an dem R'schen Säbel sich wieder findet. Durch das bisher Gesagte rechtfertigt sich also die Annahme, daß Überführungsbeweis gegen R. vorliege, vollkommen. Auch der Defensor  (Verteidiger) scheint die Stärke desselben nicht in erheblichen Zweifel zu ziehen, er ist aber bemüht gewesen, zu zeigen, daß hier keine eigentlich räuberische Absicht des Inculpaten vorgewaltet habe, daß vielmehr die That blos

als ein unüberlegter Scherz betrachtet werden müsse. Nun mag zwar zugegeben werden, daß zwischen dem, was R. gethan hat, und, was man einem abgehärteten Straßenräuber von Profession zuzutrauen pflegt, einiger Unterschied vorhanden ist. Der Straßenräuber, wie man einen solchen sich gewöhnlich denkt, geht bei der Verübung seiner Verbrechen ein für allemal davon aus, fremden Gutes sich zu bemächtigen, sei es auch, daß dabei das Leben oder die Integrität des Eigenthümers noch so sehr beeinträchtiget oder aufs Spiel gesetzt werde; er lebt in ernstlichem und fortwährendem Kampfe

mit denen, die das besitzen , was er sich wünscht. Was aber R. betrifft, so mag man nach dem ganzen Zusammenhange der Dinge wohl glauben, daß es ihm nicht darum zu thun gewesen sei, Wolfs Geldbörse um jeden Preis zu erlangen. Es scheint, als sei er durch das gelungene Manövre Vogel's welches er mit ansah, auf den Gedanken geleitet worden, Wolf möchte wohl der Mann sein, dem sich durch einige äußerliche Energie ohne große Mühe etwas abnöthigen lasse, und gegen den» man vielleicht nur den Räuber zu spielen brauche, um seines Geldes habhaft zu werden. Allein ob

der hierbezeichnete, vom psychologischen Gesichtspuncte aus erkennbare Unterschied Einfluß auf die rechtliche Beurtheilung in ihrem hauptsächlichsten Theile, nämlich auf die Frage nach der Subsumtion der That unter den gesetzlichen Begriff des Raubs, gewinnen dürfe, ist eine andere Frage, und diese kann nicht anders, als zu Ungunsten des Inculpaten beantwortet werden. Denn seine Absicht, Geld zu erlangen, muß nach dem Bisherigen fortwährend vorausgesetzt werden', wenn

man nicht seine ganze Handlungsweise als eine Ausgeburt des Wahnwitzes betrachten will, und dazu ist kein Grund vorhanden; auch ein solcher Grad von Trunkenheit, der das Ungereimteste hervorbringt, kann R. nicht beherrscht haben, da weder er selbst sich darauf bezieht, noch von Anderen dergleichen beobachtet worden ist. Um nun jenen Zweck zu er reichen, bediente er sich dessen, was ungefähr ein professionierter Räuber bei gleicher Bestrebung ebenfalls angewendet haben würde, nämlich einer Drohung gegen das Leben, der es noch mehr Geltung verschaffen mußte, daß sie von einem Bewaffneten ausgesprochen wurde, und bei der es gleichgültig bleiben muß, ob die Formel ihres Ausdruckes mehr oder weniger dem Romanhaften sich nähert. Durch dieses Thun gelangte er aber auch zweifelsohne unter die Bestimmungen des Strafgesetzes über den Raub. Die Strafabmessung für das von R. begangene Verbrechen kann sich  zwischen achtjähriger und  zwanzigjähriger Zuchthausstrafe ersten Grades bewegen. Offenbar sind die höheren Abstufungen hiervon blos für Fälle geeignet, wo der Verbrecher entweder auch seinen Zweck vollständig erreicht hat, oder doch der Erreichung durch wirkliche Gewaltthaten , oder durch größere Planmäßigkeit im Acte des Bedrohens, näher zu kommengesucht hat.. Dagegen konnte das Vorbringen des Vertheidigers  welches darauf gerichtet zu sein scheint, die That R`s aus dem Grunde als minder strafbar darzustellen, weil er sich zur Zeit derselben in einem Zustande der Noth befunden, und an den dringendsten Lebensbedürfnissen Mangel gelitten habe, keineswegs dahin führen, eine noch mildere Beurtheilung des vorliegenden Verbrechens eintreten zu lassen. Denn abgesehen davon, daß bei R, bei dessen aus den Acten sich genugsam ergebender Arbeitsscheu, von einem unerschuldeten Nothstande offenbar nicht die Rede sein kann, so bedarf es auch in der That kaum der Bemerkung, daß es wirklich vorhandener Mangel den nöthigen Lebensbedürfnissen Müllern vielleicht dann zu einiger Entschuldigung gereicht haben würde, wenn er sich dadurch zu einem Diebstahle hatte verleiten lassen, daß aber der von ihm unter frevelhafter Nichtachtung eines Menschenlebens verübte Raub darin nicht die mindeste Entschuldigung finden kann.